- Physiknobelpreis 1959: Owen Chamberlain — Emilio Gino Segrè
- Physiknobelpreis 1959: Owen Chamberlain — Emilio Gino SegrèDie amerikanischen Physiker erhielten den Nobelpreis für den experimentellen Nachweis des Antiprotons.BiografienOwen Chamberlain, * San Francisco 10. 7. 1920; während des Zweiten Weltkriegs Mitarbeit an der Entwicklung der Atombombe, seit 1954 Professor für Physik in Berkeley (Kalifornien); neben der Entdeckung des Antiprotons bedeutende Arbeiten zur Elementarteilchenphysik.Emilio Gino Segrè, * Tivoli (Italien) 1. 2. 1905, ✝ Lafayette (USA) 22. 4. 1989; 1932-37 Professor für Physik in Rom und Palermo, ab 1938 in Berkeley (Kalifornien), 1943-46 an der Entwicklung der Atombombe beteiligt; entdeckte die instabilen Elemente Technecium und Astat.Würdigung der preisgekrönten LeistungNach der Entdeckung des Antielektrons durch Carl David Anderson (Nobelpreis 1936) musste die wichtige Frage nach der Existenz von Antimaterie beantwortet werden. Der Arbeitsgruppe um Segrè und Chamberlain gelang es, das Antiproton experimentell zu beweisen.Antimaterie war im Bild der Welt nicht vorgesehenDie von den griechischen Philosophen Leukippos und Demokritos entwickelte Atomtheorie war das ganze Mittelalter unbeachtet geblieben. Man neigte zu der Vorstellung einer stetigen Beschaffenheit der Körper. Das 17. Jahrhundert griff die alte Theorie wieder auf, weil sie seinem Bedürfnis nach mathematischer Naturerklärung entgegenzukommen schien. Als Wiederentdecker gilt der Franzose Pierre Gassendi. Er vertrat die Ansicht, dass alle Materie aus Atomen bestehe und es sonst nur leeren Raum gäbe. Diese Auffassung hat sich später wissenschaftlich bestätigt. Bis ins 2o. Jahrhundert begriff man die stoffliche Welt als materiell. Eine Vorstellung von Antimaterie gab es nicht.Zwar vermutete 1897 schon Walter Nernst (Nobelpreis für Chemie 1920) die Existenz von Antiatomen, die sich gegenseitig anziehen. Doch als ernstzunehmende Theorie tauchte die Vorstellung von einer spiegelbildlichen Welt erst 1930 auf, als der englische Physiker Paul Dirac (Nobelpreis 1933) eine Gleichung veröffentlichte, die Relativitäts- und Quantentheorie vereint. Diese Leistung führte zur mathematischen Möglichkeit der Existenz zweier Welten, einer »positiven«, in der wir leben, und einer seltsam »negativen« Entsprechung, in der alle Dinge gespiegelt sind. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, so wie sich die Zahl 4 aus +2 mal +2 ergibt, entsteht sie auch aus -2 mal -2. Die positive und die negative Zahl sind Spiegelbilder.Diracs Theorie führte zu großen theoretischen Problemen. Niemand wollte ihr zunächst folgen. Mit Blick auf die Elektronen sprachen manche Physiker sogar von positiven »Esels-Elektronen«. Aber 1934 gelang es Anderson, den »Esel« mit Namen Positron nachzuweisen. Elektronen haben eine sehr kleine Masse. Die Frage stand deshalb im Raum, ob es tatsächlich auch Antiprotonen und in der Konsequenz auch Antimaterie geben könne. Da Protonen eine 1836-mal größere Ruhemasse haben als Elektronen, sind zu ihrer Erzeugung Energien von mehr als 6 Milliarden Volt (Gigaelektronenvolt, GeV) nötig. Zu wenige Teilchen der kosmischen Strahlung haben eine so hohe Energie, um sie für den Nachweis von Antiprotonen nutzen zu können. Als 1954 am Institut von Ernest Orlando Lawrence (Nobelpreis 1939) in Berkeley ein großer Ringbeschleuniger fertig gestellt war, setzte die Jagd nach dem sagenhaften Antiproton ein. Speziell zu seiner Suche war das Bevatron genannte Instrument zur Teilchenzertrümmerung auf 6,2 GeV ausgelegt worden.Heftiger Konkurrenzdruck beeinflusste die Suche nach dem AntiprotonMehrere in Konkurrenz zueinander stehende Forschergruppen begannen damit, Instrumente für den Nachweis der gesuchten Antiprotonen zu konstruieren. Sie arbeiteten unter Hochspannung, denn der Entdecker des Antiteilchens konnte auf den Nobelpreis hoffen. Die Messzeiten am Bevatron mussten sie sich teilen, die Ergebnisse der Experimente wurden täglich auf einer Schiefertafel am Bevatron öffentlich gemacht. Jede Gruppe musste ihre Apparate stetig auf- und abbauen, um den Konkurrenten das Feld zu überlassen.Segrè, der noch bei Enrico Fermi (Nobelpreis 1938) in Rom studiert hatte, passte, zusammen mit seinem ehemaligen Schüler Chamberlain und zwei Assistenten, hochmoderne Detektionsanlagen an seine Bedürfnisse an. Sie bauten zwei hochempfindliche Szintillationszähler und einen Tscherenkow-Zähler. Im ersten Zähler blitzt ein flüssiger Leuchtstoff beim Durchgang eines energiereichen Teilchens auf. Die sich bildenden Photonen treffen auf eine Photokathode, die Elektronen aussendet, die wiederum mit einem Sekundärelektronenvervielfacher verstärkt werden. Auf diese Weise entsteht auch durch einzelne Teilchen ein deutliches Signal. Bei dem von dem russischen Physiker Pawel Tscherenkow (Nobelpreis 1958) entwickelten Zähler entsteht blaues Licht, das detektiert werden kann. Mit einer elektrischen Koinzidenzschaltung der Detektoren gelang es, die Antiprotonen zu erkennen. Die Forscher hatten eine sehr sensitive Detektionsanlage geschaffen, die gleichzeitig als Filter wirkte.Sie beschossen Kupferproben mit positiv geladenen Teilchen und suchten unter den Trümmern nach negativen Protonen. Nach mehr als einem Jahr war ihre Versuchsanordnung plötzlich so perfekt, dass alle sechs Minuten ein Antiproton nachgewiesen werden konnte. Doch die elektrische Detektion eines Teilchens ist nicht so überzeugend wie die bildliche Darstellung. Deshalb bat Segrè die Arbeitsgruppe von Edoard Amaldi in Rom, die Vernichtung seines Antiprotons in einer Kernspurplatte, einer dicken Fotoemulsion, zu dokumentieren. Amaldi fotografierte den ersten Vernichtungsstern eines Antiprotons. Die Forscher nannten ihn »Faustina«. Er setzt sich aus den Spuren der zahlreichen Teilchen zusammen, die bei der Vernichtung von Proton und Antiproton entstehen. Amaldi berechnete aus den Spuren dieser ionisierten Teilchen die Gesamtenergie der Proton-Antiproton-Vernichtung (Annihilation) auf 826 MeV (Megaelektronenvolt). Das stimmte mit der Theorie der Energieerhaltung überein und war ein weiterer Beweis für das Antiproton.Segrès Ergebnis fiel in eine Zeit, in der eine ganze Reihe neuer Teilchen nachgewiesen wurde. Kaon, Pion und Antineutron gehörten dazu. Das führte zu sehr irritierenden Fragen. Wo sollte die Antimaterie sein? Und wenn es sie im gleichen Maß wie Materie gibt, warum hat sie sich nicht direkt nach dem Urknall mit der Materie der realen Welt vereinigt und alles hat sich in Energie aufgelöst, bevor irgendeine Struktur entstehen konnte?Da die Welt aber unzweifelhaft existiert, musste am Anfang entweder mehr Materie als Antimaterie vorhanden gewesen sein oder beide müssen bis heute räumlich deutlich getrennt sein. Die vermutete Symmetrie der Elementarteilchen bestand möglicherweise doch nicht. So war es eine Sensation, als 1956 die Physiker Chen-Ning Yang und Tsung Dao Lee (Nobelpreis 1957) behaupteten, die Spiegelungssymmetrie zwischen Materie und Antimaterie sei nicht perfekt.U. Schulte
Universal-Lexikon. 2012.